Roman Entlarvung von Pia Klemp
Der Roman Entlarvung von Pia Klemp fängt perfekt die politische Stimmung unserer Gegenwart ein.
Rezension aus der Tierbefreiung Ausgabe 115
„Entlarvung“ von Pia Klemp
Rezension von Christof Mackinger
„Du bist doch vegan?“ Und auch, wenn der Tonfall mit Überzeugung impliziert hatte, dass es nur eine einzige korrekte Antwort auf diese Frage geben konnte, gab Rubi wahrheitsgemäß die Falsche, indem sie nichts sagte. „Uooh!“, die Zornige stöhnte gequält auf, rollte böse mit den Augen und befahl: „Guck dir die DVDs an! Das gehört alles zusammen. Veganismus ist auch soziale Revolution, nicht nur rein pflanzliche Ernährung! Und ohne soziale Revolution kriegen wir auch den Planeten nicht gerettet. Der scheiß Kapitalismus frisst das alles auf. Wald, Mensch, Freiheit, alles.“
Der Roman „Entlarvung“, von Pia Klemp, skizziert die Politisierung und Radikalisierung einer jungen Frau in der autonom-ökologischen Linken Deutschlands. Die Museumsangestellte Rubi kommt durch Zufall mit Öko-Aktivist_innen in Kontakt. Von unangenehmen Momenten, wie dem eingangs zitierten, bis hin zur Entdeckung verschütt geglaubten Selbstbewusstsein und kollektiver Stärke bei der politischen Aktion: Rubi durchlebt viele Zustände, die wir alle kennen aus Zeiten der Politisierung, Erschließung neuer politischer, sozialer oder aktivistischer Sphären. Nach einer nicht ganz einfachen Annäherung an die Aktivistin Iana findet Rubi Zugang zu einem politisch aktiven Freund_innen-Kreis. Mit dem durchlebt sie nicht nur die Planung und Durchführung einer Schlachthofbesetzung inklusive -sabotage und der brutalen Räumung eines besetzten Waldes. Rubi bekommt auch Einblick in die bedrückende Realität der kapitalistischen Naturzerstörung, mit all seinen unverkraftbaren Wahrheiten, dem millionenfachen Töten, der Zerstörung. Und sie erlebt die Ohnmacht angesichts der umfassenden Zerstörung, wie sie die meisten von uns auch kennen. Dementsprechend will Rubi alles verändern. Das fordert sie auch von ihrem Umfeld ein, was sehr lebensnah, auch in „Entlarvung“ nicht immer glatt geht…
Die vegane Aktivistin und Autorin Pia Klemp war jahrelang bei Sea Shepherd beschäftigt. Dort lernte sie Schiffe selbst zu steuern. Bekannt wurde sie allerdings erst durch ihren Einsatz als Kapitänin in der Seenotrettung von Geflüchteten in Mittelmeer. Zuletzt war sie mit dem Schiff „M.V. Louise Michelle“, gespendet vom Graffiti-Künstler Banksy, gemeinsam mit einem feministischen Kollektiv unterwegs. Auf See hat Klemp damit bei der Rettung von tausenden Menschen vor dem Ertrinken geholfen. Die italienische Justiz wirft Pia Klemp und neun ihrer Mitstreiter_innen daher seit 2017 die „Beihilfe zur illegalen Einreise“ vor, ein Straftatbestand, der mit langjährigen Haftstrafen bestraft werden kann.
„Entlarvung“ ist Klemps dritter Roman. Offensichtlich angelehnt an reale Ereignisse, wie etwa die Besetzung des Hambacher Forsts, schreibt Klemp darin vor allem über die inneren Zustände eines Menschen, der mit dem Leid und der Ungerechtigkeit auf unserer Welt – und der autonomen Linken, die dagegen ankämpft – konfrontiert wird. Sehr realitätsnah schildert Klemp die Gefühle, die Rubi in diesem Zusammenhang hochkommen: Bewunderung, Demut, Begeisterung, aber auch Depression und Einsamkeit. Rubi findet sich mit der Zeit in die neue Community ein, wobei das Buch authentisch-differenzierte Charaktere von Aktivist_innen zeichnet, von überheblich, bis offenherzig-welcoming. Das ist definitiv ein Pluspunkt des Buches. Leider gleitet die Autorin auch immer wieder in plumpe Klischees ab, die wirklich nicht nötig wären. Der „bullige Paradeanarcho, der 25 Verfahren am Laufen hat und nichts als Griechisch spricht“ oder der Anwalt, der bei der Räumung „voller Tatendrang durch das apokalyptische Spektakel“ springt und mit einem Stapel vorgefertigter Dokumente wedelt: „Wer will hier die Polizei verklagen? Es kostet auch nichts!“ Das sind Momente, in denen die Lust zu lesen deutlich schwindet. Auch Klemps oft philosophisch-blumiger Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und lädt immer wieder dazu ein Absätze zu überspringen.
Inhaltlich ist „Entlarvung“ in vieler Hinsicht ein tolles Buch. Insbesondere die Depression der Protagonistin Rubi wird anschaulich dargestellt, mitsamt aller Höhen und Tiefen, die dem Buch eine unvorhersehbare Dynamik verleihen. Nicht ganz einfach zu verdauen ist aber der Stil der Autorin. Da muss jedeR für sich selbst rausfinden, ob der einem/r liegt oder nicht. Im Zweifelsfall einfach ausprobieren! Die Autorin ist eine umtriebige Aktivistin, sei es was die Befreiung der Tiere, die Rettung von Menschen oder die Bewahrung der Natur angeht. Allein schon deswegen verdient ihr Buch „Entlarvung“ Aufmerksamkeit.
Hardcover
224 Seiten
29.3.2021
ISBN 978-3-95575-142-5